Sonja kommt zu einem meiner Präsenzseminare und reist mit Rückenschmerzen an, ohne dass sie es jemandem zeigt oder es in der Runde anspricht. Sie will kein Aufhebens um sich machen und scheint die Schmerzen tapfer zu ignorieren.
In der Pause wechselt sie schließlich vom Stuhl auf das Sofa, wo sie sich flach hinlegt. Die anderen Teilnehmerinnen arrangieren sich damit, dass außer Sonja niemand auf dem Sofa Platz hat. Keine der anderen sagt etwas, und jede isst ihren Vesper auf dem Stuhl oder auch im Stehen. („Ach, es tut so gut, mal zu stehen!“)
Doch dann muss Sonja irgendwann auf die Toilette gehen. Als sie zurückkommt, sieht sie, dass Julia auf dem Sofa liegt.
Sonja stutzt, zögert kurz und legt sich dann neben das Sofa auf den Boden. Den Kopf stützt sie auf ihren Arm, und so schaut sie unentwegt zu Bärbel hinauf … doch nichts passiert. Niemand reagiert. Die Situation bleibt unverändert.
Nach der Pause sprechen wir eher zufällig über diese Situation, und dabei stellt sich heraus, was in Sonja vorging: Während sie vor dem Sofa lag, hatte sie erwartet, dass Julia doch merken müsste, dass sie wegen ihrer Rückenschmerzen auf dem Sofa gelegen hatte. Aber nicht nur das: Sonja hatte auch erwartet, dass Julia – wenn sie von den Rückenschmerzen wüsste – natürlich ungefragt Platz machen würde.
Sonja hat also gleich mehrere Erwartungen gehabt: Sie hat erwartet, dass Julia ihre Gedanken lesen kann, und zusätzlich, dass sie ihr automatisch Platz macht, ohne dass Sonja etwas sagen muss. Das sind viele Erwartungen und Enttäuschungen auf einmal. Kein Wunder also, dass Sonja es nach der Pause irgendwie schaffte, das Thema zur Sprache zu bringen.
Dieses Beispiel zeigt wunderbar, wie wir uns selbst mit unseren Erwartungen das Leben schwer machen. Wir setzen voraus, dass unsere Mitmenschen – oder unser Partner – unsere Bedürfnisse erahnen können, ohne dass wir sie äußern. Dabei bleibt es oft nur eine Projektion unserer eigenen Wünsche.
Wenn Du also in Deiner Beziehung etwas richtig schlecht machen möchtest, dann lass Deinen Partner raten, was Du fühlst und denkst, was Du brauchst und wünschst, und erwarte, dass er diese Erwartungen von allein erfüllt. Das ist der sicherste Weg, um Enttäuschungen zu erzeugen – sowohl bei Dir als auch bei Deinem Partner.